Die Amaro Tan Gemeinschaft fördern mit Eigenverantwortung, Mitgefühl und manchmal auch mit Pommes frites

August 2022

“Sie haben meinen gesamten Vorrat an Pommes frites in der ersten Stunde aufgegessen”, erklärt Lorenc Tona, Besitzer eines Lebensmittelladens in Pogradec. Er arbeitet mit Nehemiah Gateway an einem Pilotprojekt mit Gutscheinen, das die Schüler und Schülerinnen von Amaro Tan für Anwesenheit, Erledigung der Hausaufgaben und Teilnahme am Unterricht belohnt.

Die Kinder kommen aus Familien, die in extremer Armut leben. Sie erhalten bereits jeden Tag eine nahrhafte warme Mahlzeit, und ihre Familien bekommen mehrmals im Jahr Hilfspakete von der Schule. Die Erfahrung mit den Pommes frites war für sie insofern bemerkenswert, als sie zum ersten Mal selbst die Möglichkeit hatten, in einem Geschäft etwas zu kaufen. Und was gibt es für Kinder in einem bestimmten Alter besseres als Pommes frites?

“Einige der älteren Kinder wollten den Gutschein nutzen, um ihren Familien beim Einkaufen zu helfen”, fügt Schulleiter Marin Piqoni hinzu, der Amaro Tan seit 2016 leitet. “Aber die Kleineren wollten einfach nur ihre Pommes.”

Marin Piqoni, Schuldirektor der Amaro Tan.

 

Das Team von Amaro Tan sieht sich mit einer Reihe von Herausforderungen konfrontiert, die über die eines durchschnittlichen Bildungsprogramms hinausgehen.

Die Schule wurde 1998 ins Leben gerufen, nachdem die Mitarbeiterinnen der Suppenküche von Nehemiah Gateway in Pogradec feststellten, dass viele der Kinder, die jeden Tag zum Essen kamen, weder lesen noch schreiben konnten. Amaro Tan unterrichtet jedes Jahr bis zu 140 Kinder vom Kindergarten bis zur 9. Klasse. Die Schule wurde von der Organisation “Jugend mit einer Mission” gegründet. Ihr Ziel war es, Kinder zu schützen, die zu Hause unter besonders schwierigen oder sogar bedrohlichen Umständen lebten.

Auch heute noch gehören viele der Kinder zu den marginalisierten Minderheiten der Roma und der Balkan-Ägypter und sind tagtäglich mit Diskriminierung konfrontiert. Die meisten Eltern gingen selbst nicht zur Schule, sehen wenig Wert in Bildung und sind nicht in der Lage, bei den Hausaufgaben zu helfen. Oft ziehen Angehörige der Roma-Minderheit weg, wenn sie glauben, dass sie anderswo bessere Bedingungen vorfinden. Und es gibt eine beunruhigende Tendenz, Mädchen unter Druck zu setzen, die Schule frühzeitig zu verlassen, um Kinder zu bekommen und zu heiraten.

Kinder, die unter so schwierigen Bedingungen aufwachsen, brauchen viel mehr als Klassenzimmer und Lehrer. Sie brauchen nahrhafte Mahlzeiten (und ab und zu Pommes frites), Zugang zu medizinischen Diensten, soziale Versorgung, Hygiene und, ebenso wichtig, sie brauchen Begleiter und Vorbilder.

 

Die Roma-Kinder haben jetzt ein Vorbild aus ihrer eigenen Gemeinschaft: Franko Ali.

Franko Ali, Sozialarbeiter der Amaro Tan.

Franko arbeitet seit Herbst 2021 als Sozialarbeiter bei Amaro Tan und stammt selbst aus der Roma-Gemeinschaft. Von 2004 bis 2008 besuchte er zusammen mit seinen beiden älteren Schwestern sogar selbst die Amaro Tan Schule. Danach wechselte er auf eine öffentliche Schule und erwarb anschließend einen Master-Abschluss in Sozialarbeit an der Universität Tirana. Als er hörte, dass die Stelle eines Sozialarbeiters in Amaro Tan frei war, bewarb er sich sofort.

“Franko ist ein sehr bodenständiger Typ”, sagt Schuldirektor Piqoni. “Er kümmert sich wirklich um die Menschen - die Kinder, ihre Eltern und die Gäste der Suppenküche. Er denkt immer darüber nach, wie er noch mehr für sie tun kann.” Franko und seine Mutter wohnen beide in der Nähe der Schule und besuchen die Roma-Kirche am Fuß des Hügels, unterhalb der Schule. Diese Verbindung zur Gemeinde verleiht Franko echte Glaubwürdigkeit bei den Eltern, und sie sind ihm gegenüber sehr ehrlich (und hartnäckig), was ihre Herausforderungen und Probleme angeht.

Franko überlegt ständig, wie er Menschen helfen kann. Das orthodoxe Osterfest ist in Albanien ein Feiertag, und dieses Jahr beschloss er, die Gäste der Suppenküche zum Pizza essen einzuladen. Er wusste, sie würden sonst die Feiertage allein zu Hause verbringen. Er bringt auch frischen Wind in die Freiwilligenprojekte der Amaro Tan Klassen. Unter sorgfältiger Aufsicht helfen ältere Schülerinnen und Schüler den Gästen der Suppenküche in ihren Wohnungen bei Reinigungs- und Hausarbeiten.

Auswärts essen: Franko führt die älteren Menschen aus der Suppenküche von Amaro Tan zum Essen in eine Pizzeria.

 

“Ich möchte den Kindern helfen, sich selbst als Akteure ihres eigenen Lebens zu begreifen”, sagt er. “Nicht als Opfer oder als verwundete Wesen, um die man sich kümmern muss. Wenn sie Verstand, Fähigkeiten und ein Gewissen haben, können sie etwas aus sich machen. Ich denke ständig darüber nach, wie ich ihnen helfen kann, diese Einstellung zu entwickeln.

Womit wir wieder bei Pommes wären.

Die Idee hinter dem Pilotprojekt ‚Gutscheine‘, das in diesem Jahr in kleinem Rahmen getestet wird, ist die Einführung des Konzepts von Arbeit und Belohnung. Seit den Anfängen von Amaro Tan hat die Schule in regelmäßigen Abständen Hilfspakete an alle verteilt, kostenlos und ohne Gegenleistung, und tut das auch weiterhin. Bonusprogramme erfordern dagegen Anstrengung, aber sie geben den TeilnehmerInnen auch die Freiheit zu entscheiden, was sie mit diesen Belohnungen machen wollen.

 „Unsere bisherigen Erfahrungen mit dem Pilotprojekt sind sehr ermutigend“ meint Marin Piqoni. „Es wäre interessant zu sehen, was wir in einem größeren Rahmen erreichen würden. Wir könnten damit einige der schwierigeren Amaro Tan Eltern ansprechen, die sich nicht um die Hausaufgaben kümmern, nur damit ihre Kinder Pommes frites essen können.“

Frankos Träume für das Programm, das er leitet, sind sogar noch ehrgeiziger. Auf die Frage, was er in fünf Jahren gerne sehen würde, beschreibt er ein Amaro Tan, das doppelt so groß ist wie heute, mit Notunterkünften für Obdachlose, erweiterten Ausbildungs- und Rehabilitationsmaßnahmen, um ihnen bei der Arbeitssuche zu helfen, und einem umfassenderes Angebot an Unterstützung für ganze Familien.

Sowohl Franko als auch Marin haben sich durch harte Arbeit eine Karriere aufgebaut. Die Beiden sind sich einig, dass Mitgefühl in Verbindung mit Eigenverantwortung zu unglaublichen Ergebnissen führen kann.

Bei Amaro Tan lernen die Kinder Lebenskompetenzen, zum Beispiel in der Sommerschule 2022: Nähen, Computerkenntnisse, Kochen ... und vieles mehr.

Sie fangen gerne klein an, indem sie den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit bieten, sich etwas zu verdienen, wenn sie ihre Hausaufgaben pünktlich abliefern. Das ist Selbstbestimmung - Pommes für Pommes.