Das erste Mal im Leben ein eigenes Geschenk - die Realität im Leben vieler Kinder, wie hier in einem albanischen Dorf.

 

Zuhause - das bedeutet für die meisten von uns Geborgenheit und Schutz. Für manche ist es jedoch der schlimmste Ort überhaupt. Wir sprechen über häusliche Gewalt, ein Problem, mit dem unsere albanischen Mitarbeiter im Sozialdienst immer öfter konfrontiert werden. Die Anfragen kommen vom örtlichen Amt für Kinder- und Jugendschutz, die selbst über keinerlei Budget für materielle Familienhilfe verfügen.

So zum Beispiel der Fall einer schwangeren Mutter mit zwei Kindern, deren neuer Partner seinen ganzen Berg an Problemen gewaltsam an seiner Familie ausließ: Arbeitslos, alkoholabhängig, wettsüchtig, tief verschuldet - und gewalttätig. Obwohl er nichts zum Lebensunterhalt beiträgt, kann die Frau sich nicht einmal vorstellen, ohne Mann im Haus zu leben- so wurde es ihr von Kind an eingetrichtert. 

Gewalt in der Familie geht oft als „schlechtes Benehmen“ durch, nicht als das, was es ist - kriminelles Verhalten. Alleinerziehende Mütter passen nicht ins Bild einer patriarchalisch geprägten Gesellschaft, es wird von allen Seiten Druck ausgeübt, oft sogar von der eigenen Familie. Erst in äußerster Not zeigte diese Mutter ihren Partner an, unterstützt von außenstehenden Zeugen, weil sie ihre traumatisierten Kinder schützen musste. Sie selbst ging mit ihren Verletzungen aus Scham (und fehlendem Geld) nicht einmal zum Arzt. Nun sitzt der Partner in Haft. Wie durch ein Wunder kam ihr Baby mittlerweile (körperlich) gesund zur Welt, doch die Mutter muss unbedingt Geld verdienen, als Babysitter bleiben nur die Nachbarn. Wie wird es weitergehen? Die traurige Folge in den meisten Fällen: Die Frauen ziehen ihre Anzeige zurück, der Mann wird entlassen und die Tragödie beginnt von neuem, meist mit noch größerer Gewalt. 

 

WAS KÖNNEN WIR TUN?

Leider sind unsere Möglichkeiten und Befugnisse in diesen Fällen begrenzt, doch das Wenige, das wir tun können, macht für diese Familien einen immensen Unterschied. Lebensmittelpakete helfen den Müttern, ihre Kinder sattzubekommen. Letztes Weihnachten haben die Kinder zum ersten Mal überhaupt ein Geschenkpaket bekommen, was für eine Freude! Ein wenig finanzielle Hilfe für dringende Ausgaben, Kleidung für die Kinder ... und vor allem Hoffnung und das Gefühl, nicht alleine zu sein.

Eine der Mütter ist tief bewegt: „Ich kann es kaum glauben, dass es Menschen gibt, die helfen. Normalerweise schauen die Leute einfach weg, selbst wenn unsere finanzielle Lage ausweglos ist.“

Eine Mitarbeiterin des Jugendamtes gibt ehrlich zu: „Es ist für unsere Gesellschaft sehr bedauerlich, dass wir auch heute noch Familien haben, in denen aufgrund von Traditionen, wirtschaftlichen Verhältnissen, dysfunktionalen Gesetzen und unzureichendem Sozialstaat viele Mädchen und Frauen mit den Tätern unter einem Dach zusammenleben müssen.“

Für die Leiterin unserer sozialen und medizinischen Dienste (SMI), Nikoleta ist eines klar: „Täglich sehen wir neue Familien, die mit der Armut kämpfen. Die Verteilung von Hilfsgütern geht zu den Anfängen von NG im Jahr 1991 zurück, als die Not so groß war. Es ist auch das Letzte, an dem Einsparungen möglich sind. Es geht hier nicht um Entwicklung, sondern ums blanke Überleben.“

 

HÄUSLICHE GEWALT IN ALBANIEN

2006 wurde ein Gesetz über häusliche Gewalt verabschiedet, das auf der Rechtstradition der am weitesten entwickelten europäischen Länder gründet. Das lässt sich nicht so einfach ins bestehende Rechtssystem übersetzen. 

Albanien wird seit jeher von Männern dominiert. Frauen wurde lange Zeit die Rolle von Untergebenen auferlegt. Während des kommunistischen Regimes klaffte eine tiefe Lücke zwischen der Theorie der Emanzipation der Frau und ihrer täglichen Realität. Nach dem Sturz des kommunistischen Regimes 1991 erlebte Albanien eine Zeit großer Veränderungen, oft dramatischer sozialer, politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen. Die Gleichstellung der Geschlechter ist dabei ein neues Prinzip, das von einem großen Teil der Bevölkerung noch nicht angenommen wurde. (Av. Saimir Vishaj, JUS & JUSTICIA issue 2/2022)

Das albanische Recht sieht Unterstützung und Schutzmechanismen wie staatliche Wohnungen und Hilfe bei der Arbeitssuche vor, die es den Opfern häuslicher Gewalt ermöglichen sollen, ihre Täter zu verlassen. Jedoch erhält nur ein Fünftel derjenigen, die sich an die Behörden wenden, tatsächlich finanzielle Unterstützung. Landesweit gibt es 30 Betten für Notunterkünfte und 32 für Langzeitaufenthalte, doch jedes Jahr werden Tausende von Fällen gemeldet. (Anila Hoxha, BalkanInsight, May 30, 2024).  Die Bemühungen von Nichtregierungsorganisationen helfen, können die staatlichen Aufgaben jedoch bei weitem nicht abdecken.

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